(2024)
Wann sind Prozesskosten absetzbar?
Prozesskosten sind grundsätzlich nur in Ausnahmefällen steuerlich als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG absetzbar. Das Finanzamt akzeptiert Prozesskosten in der Regel nur, wenn der Rechtsstreit einen existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens betrifft.
Frühere Rechtsprechung
- BFH-Urteil von 2011: Im Mai 2011 hatte der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass Zivilprozesskosten unabhängig vom Gegenstand des Prozesses als zwangsläufig gelten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es genügte, dass der Erfolg mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg war (BFH-Urteil vom 12.5.2011, BStBl. 2011 II S. 1015).
- Änderung ab 2015: Im Juni 2015 kehrte der BFH zu einer restriktiveren Auslegung zurück. Danach sind Prozesskosten nur dann zwangsläufig, wenn auch das dem Prozess zugrunde liegende Ereignis zwangsläufig ist. Zivilprozesskosten sind daher in der Regel nicht als außergewöhnliche Belastungen absetzbar (BFH-Urteil vom 18.6.2015, VI R 17/14).
Gesetzliche Regelung seit 2013
Seit 2013 sind Zivilprozesskosten nur absetzbar, wenn der Steuerpflichtige Gefahr läuft, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können (§ 33 Abs. 2 Satz 4 EStG). Hierbei handelt es sich um sehr strenge Voraussetzungen. Es reicht nicht, dass der Rechtsstreit einen wichtigen Lebensbereich betrifft; der Verlust der materiellen Existenzgrundlage muss konkret drohen.
Abgrenzung: Materielle vs. immaterielle Existenzgrundlage
Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass unter Existenzgrundlage nur die materielle Lebensgrundlage zu verstehen ist. Immaterielle Werte wie seelische oder soziale Bedürfnisse fallen nicht darunter (BFH-Urteil vom 18.5.2017, VI R 9/16). Daher sind Prozesskosten, die den Kernbereich des menschlichen Lebens betreffen, wie beispielsweise Streitigkeiten um das Umgangsrecht mit einem Kind, nicht mehr absetzbar (BFH-Urteile vom 13.8.2020, VI R 15/18 und VI R 27/18).
Beispiele für nicht absetzbare Prozesskosten:
- Umgangsrecht des Vaters: Prozesskosten zur Regelung des Umgangsrechts eines im Ausland lebenden Kindes sind nicht absetzbar, da sie keine materielle Existenzgefährdung darstellen (BFH-Urteil vom 13.8.2020, VI R 15/18).
- Unterhaltsstreitigkeiten: Prozesskosten zur Erlangung eines höheren Kindesunterhalts sind nicht abziehbar, wenn keine existenzielle Bedrohung besteht (BFH-Urteil vom 13.8.2020, VI R 27/18).
- Arzthaftungsprozesse: Auch Aufwendungen für Schadensersatzprozesse wegen Behandlungsfehlern sind nicht als außergewöhnliche Belastungen absetzbar, wenn sie nicht die materielle Existenz sichern sollen (BFH-Urteil vom 13.8.2020, VI R 27/18).
- Strafverteidigung des Kindes: Prozesskosten für die Strafverteidigung eines heranwachsenden Kindes sind ebenfalls nicht abzugsfähig (BFH-Beschluss vom 11.8.2022, VI R 29/20).
Ausnahmefälle
Einige Gerichte haben jedoch in Ausnahmefällen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen anerkannt:
- Rückabwicklung eines Forstbetriebes: Das Niedersächsische Finanzgericht entschied, dass Prozesskosten in Höhe von 17.740 Euro als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sind, wenn eine Rückabwicklung einer unentgeltlichen Übertragung eines Forstbetriebes droht, die zur Existenzgefährdung führen würde (FG Niedersachsen vom 15.5.2024, 9 K 28/23; Revision VI R 22/24).
Praxistipp
- Materielle Existenzbedrohung: Prozesskosten sind nur dann absetzbar, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass seine materielle Existenz gefährdet ist. Immaterielle Werte wie das Kindeswohl oder seelische Belastungen werden steuerlich nicht berücksichtigt.
- Vorabprüfung: In Streitfällen sollten Betroffene stets prüfen, ob der Rechtsstreit existenzielle materielle Auswirkungen hat, bevor sie die Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen geltend machen.