(2016)
Wie werden mehrere Ausbildungen als Gesamtmaßnahme beurteilt?
Viele Kinder durchlaufen mehrere Ausbildungen, ehe sie ihr Berufsziel erreicht haben, z.B. Banklehre und anschließendes Studium, Handwerkerlehre und anschließende Technikerschule oder Fachoberschule, Handwerkerlehre und Fachoberschule und Fachhochschule.
Nach derzeitiger Rechtslage wird der erste Berufsabschluss (Lehre) als Erstausbildung angesehen und das anschließende Studium als Zweitausbildung gewertet. Die Aufwendungen für die Erstausbildung sind begrenzt als Sonderausgaben (sofern außerhalb eines Ausbildungsdienstverhältnisses) und für die Zweitausbildung unbegrenzt als Werbungskosten absetzbar.
Für die Zweitausbildung besteht nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn keine Erwerbstätigkeit oder eine Erwerbstätigkeit von weniger als 20 Wochenstunden ausgeübt wird.
Der Bundesfinanzhof hat im Jahre 2014 entschieden, dass eine Berufsausbildung im dualen Studium eine einheitliche Erstausbildung darstellt, auch wenn die praktische Ausbildung (Lehre) früher beendet wird als das Studium (Bachelor). Da es sich insoweit um eine Erstausbildung handelt, ist es für den Kindergeldanspruch unschädlich, wenn das Kind nach Abschluss seiner Lehre neben dem Studium mehr als 20 Wochenstunden arbeitet (BFH-Urteil vom 3.7.2014, III R 52/13).
Beispiel
Hans beendet im Februar 2012 eine Ausbildung zum Elektroniker (Lehre) und bewirbt sich sofort um einen Platz an der Fachoberschule für Technik. Der Besuch dieser Schule ist Voraussetzung für ein Studium an einer Fachhochschule. Er strebt nämlich den Abschluss als Elektrotechniker oder Elektroingenieur an. Die Fachoberschule besucht er ab August 2012.
In der Zwischenzeit von März bis Juli 2012 arbeitet er in Vollzeit in seinem erlernten Beruf zum üblichen Gehalt. Diese Zwischenzeit gilt als Wartezeit auf einen Ausbildungsplatz und ist ebenfalls kindergeldbegünstigt. Im Oktober 2013 nimmt er das Studium an der Fachhochschule auf. Die Familienkasse verweigert das Kindergeld für die Wartezeit wegen der Erwerbstätigkeit.
Der BFH sieht hier eine "mehraktige Berufsausbildung" (Lehre - Fachoberschule - Fachhochschule), die insgesamt eine einheitliche Erstausbildung darstellt. Der erste berufsqualifizierende Abschluss der Lehre stellt noch keine Erstausbildung dar. Die weiteren Ausbildungsmaßnahmen sind Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs. Sie stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme und wurden auch innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs durchgeführt.
Aufgrund der "Erstausbildung" spielt es für den Kindergeldanspruch keine Rolle, ob das Kind während einer Ausbildungsmaßnahme oder in der Wartezeit auf die Fachober-schule eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden ausübt. Der Anspruch auf Kindergeld besteht daher ohne Einschränkungen für die gesamte Dauer der mehraktigen Ausbildung.
Aktuell hat der Bundesfinanzhof den Begriff der Erstausbildung nochmals erweitert und den Begriff der "mehraktigen Berufsausbildung" geprägt: So sind mehrere Ausbildungsmaßnahmen Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das - von den Eltern und dem Kind - bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.
Das bedeutet: Nach dem ersten Berufsabschluss besteht weiterhin Anspruch auf Kindergeld oder auf die steuerlichen Freibeträge, auch wenn das Kind während der weiteren Ausbildungsmaßnahmen, Wartezeiten und Übergangszeiten eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden ausübt (BFH-Urteil vom 15.4.2015, V R 27/14).
- Der "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" muss nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss, z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang, erfüllt sein. Dies ist erst dann der Fall, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben.
- Ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine "Erstausbildung" darstellt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, richtet sich danach, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt.
- Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Maßgebend ist dabei, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.
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Das neue Urteil des BFH zur "mehraktigen Ausbildung" kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten:
Für die Eltern ist vorteilhaft, dass eine Berufsausbildung nun möglichst lange als Erstausbildung beurteilt wird. Denn dann besteht Anspruch auf Kindergeld oder die Steuerfreibeträge, ohne dass es darauf ankommt, ob das Kind in dieser Zeit - einschließlich der Wartezeit auf einen Ausbildungsplatz sowie der Übergangszeit bis vier Monate - eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden ausübt (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Für das Kind ist nachteilig, dass die Aufwendungen nach dem ersten Berufsabschluss nicht in unbegrenzter Höhe als Werbungskosten absetzbar sind. Wird das anschließende Studium ebenfalls als Erstausbildung beur-teilt, sind die Ausbildungskosten nur begrenzt bis 6.000 Euro als Sonderausgaben absetzbar (§ 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG).
Bisher wird ein Bachelor-Studiengang als Erststudium und ein nachfolgender Master-Studiengang als Zweitstudium angesehen. Für das Zweitstudium sind die Studienkosten als Werbungskosten absetzbar. Kindergeld gibt es nur, wenn nebenher keine Erwerbstätigkeit oder eine von weniger als 20 Wochenstunden ausgeübt wird. Nach dem neuen BFH-Urteil handelt es sich bezüglich des Kindergeldes um eine einheitliche Erstausbildung, sodass es auf den Umfang der Erwerbstätigkeit nicht ankommt. Hinsichtlich des Werbungskostenabzugs bleibt es dabei, dass die Aufwendungen für das Masterstudium in voller Höhe als Werbungskosten abziehbar sind.
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