(2017)
Kann ein höherer Km-Kostensatz für Privatfahrten abgesetzt werden?
Behinderte Menschen mit dem Merkzeichen "aG", "H" oder "Bl" dürfen nicht nur die Aufwendungen für durch die Behinderung veranlassten unvermeidbaren Fahrten, sondern auch für Freizeit-, Erholungs- und Besuchsfahrten als außergewöhnliche Belastungen absetzen, soweit diese nachweisen oder glaubhaft gemacht werden. Und zwar zusätzlich zum Behinderten-Pauschbetrag. Die Fahrten wird das Finanzamt aber nicht unbegrenzt, sondern nur in einem "angemessenen Rahmen" anerkennen. Als angemessen gelten hier eine Fahrleistung von höchstens 15.000 km im Jahr und ein Km-Kostensatz von 0,30 Euro.
Kann statt der Dienstreisepauschale von 30 Cent je km nicht doch der höhere tatsächliche Km-Kostensatz des Pkw abziehbar sein? Ja, dieser wurde früher anerkannt, wenn "außergewöhnliche Umstände" vorlagen. Doch seit 2004 ist dies nicht mehr möglich, anerkannt wird generell nur noch die Kilometerpauschale von 30 Cent.
Aber jetzt hat das Hessische Finanzgericht erfreulicherweise wieder einen höheren Kilometerkostensatz als 0,30 Euro anerkannt - und zwar 0,7733 Euro. Ausnahmsweise könne der Pauschsatz von 0,30 Euro überschritten werden, wenn "außergewöhnliche Umstände" vorliegen. Dies sei aber auf "krasse Ausnahmefälle" zu beschränken. Derartige außergewöhnliche Umstände können dann vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger wegen der Art seiner Behinderung auf ein besonderes Fahrzeug angewiesen ist, für das überdurchschnittlich hohe Aufwendungen erforderlich sind (FG Hessen vom 23.6.2016, 6 K 2397/12; Revision VI R 28/16).
Der Fall: Es handelt sich um einen Rollstuhlfahrer, der an Multipler Sklerose leidet und die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" sowie die Pflegestufe III hat. Er erwirbt einen Kleinbus, der mit erheblichen Kosten behindertengerecht umgebaut wird. Dieser Umbau ermöglicht es ihm, in seinem Rollstuhl sitzend mitzufahren. Aufgrund der fortgeschrittenen Krankheit ist die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis nicht mehr möglich. Für das Fahrzeug wird - ohne die Umbaukosten - ein Kilometer-Kostensatz von 0,7733 Euro ermittelt, wobei eine AfA-Dauer für das Fahrzeug von 8 Jahren zugrunde gelegt wurde.
Begründung: Im Urteilsfall rechtfertigen "außergewöhnliche Umstände" einen höheren Kilometersatz als den Pauschsatz von 0,30 Euro/km. Außergewöhnlich sind die Umstände insoweit, als es dem Betroffenen aufgrund seiner Behinderung nicht möglich ist, einen normalen Pkw zu nutzen und selbst die Beförderung sitzend im Rollstuhl - bedingt durch eine fortgeschrittene Osteoporose - nur in ausgesuchten Fahrzeugen möglich ist, um dem Erfordernis, Erschütterungen weitgehend zu verhindern, gerecht zu werden.
Im Urteilsfall führen die Besonderheiten zu überdurchschnittlichen Aufwendungen. Insbesondere liegt der Preis für ein Fahrzeug, welches von seiner Größe, seinem zulässigen Gesamtgewicht, seiner Motorenleistung und damit der Möglichkeit des behindertengerechten Umbaus den Anforderungen genügt, deutlich über dem, den die Mehrzahl körperlich eingeschränkter Personen für ein Fahrzeug aufwenden muss. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug, um den Behinderten sitzend im Rollstuhl zu befördern, über entsprechende Ausmaße, eine Hebevorrichtung sowie ein entsprechendes Befestigungssystem verfügen muss und dass Fahrten mit einer auswärtigen Übernachtung die Mitnahme einer Reihe von Hilfsmitteln sowie eines Dusch-/Toilettenstuhls und eines mobilen Lifters erfordern.
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Weil dieses neue Urteil nicht gänzlich im Einklang mit der derzeitigen Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs steht, werden die höchsten Richter nun die Gelegenheit haben, ihre Meinung zu überprüfen. Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen "aG", "H" oder "Bl" sollten im Falle "außergewöhnlicher Umstände" ihre Freizeit-, Erholungs- und Besuchsfahrten mit dem höheren tatsächlichen Km-Kostensatz absetzen, bei Ablehnung Einspruch gegen den Steuerbescheid einlegen und mit Hinweis auf das Revisionsverfahren VI R 28/16 das Ruhenlassen beantragen.
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