Bei Steuernachforderungen, Steuerstundung, Steuerhinterziehung und Aussetzung der Vollziehung berechnet das Finanzamt immer noch zu Lasten der Bürger einen Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr. D.h. die Nachzahlungszinsen für jeden vollen Monat des Verzinsungszeitraumes betragen 0,5 % des fälligen Steuerbetrages. Dies ist so im Gesetz festgelegt (§ 238 AO).
Ein Zinssatz von 6 % p.a. ist heutzutage außerordentlich hoch, wo doch die Marktzinsen nahe dem Nullpunkt dahindümpeln. Die Rendite für Staatsanleihen bewegt sich teilweise sogar im Minusbereich. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank liegt derzeit bei 0,0 %, der Strafzins für Einlagen der Banken bei der EZB bei minus 0,4 %. Im Vergleich dazu stellt der Zinssatz des Fiskus von 6 % ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung dar und erfüllt damit den Tatbestand des Wuchers (§ 138 BGB). Zinswucher liegt vor, wenn der verlangte Zinssatz doppelt so hoch ist wie der vergleichbare Marktzins.
Der Bundesfinanzhof hatte im Juli 2014 entschieden, dass der gesetzliche Zinssatz von 6,0 % pro Jahr für Nachzahlungszinsen in den Jahren 2004 bis März 2011 (noch) nicht verfassungswidrig sei (BFH-Urteil vom 1.7.2014, IX R 31/13). Ebenfalls als verfassungsgemäß hat der BFH den Zinssatz von 6 % beurteilt für die Zeit vom 3.6.2008 bis 5.12.2011 (BFH-Urteil vom 14.4.2015, IX R 5/14) und vom 17.8.2006 bis 19.1.2012 (BFH-Beschluss vom 21.10.2015, V B 36/15).
Aktuell hat der Bundesfinanzhof im November 2017 entschieden, dass der horrende Zinssatz von 6 Prozent p.a. für Nachzahlungszinsen auch im Jahre 2013 noch verfassungsgemäß ist. Er verstoße weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot. Der BFH hält den Zinssatz von 0,5 % für jeden Monat (6 % pro Jahr) auch unter Berücksichtigung der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus im Jahr 2013 für verfassungsmäßig in Ordnung (BFH-Urteil vom 9.11.2017, III R 10/16).
Nach – unverständlicher – Auffassung des BFH ist die Zinshöhe auch nicht wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungswidrig. Da mit den Nachzahlungszinsen potentielle Liquiditätsvorteile abgeschöpft werden sollen, hält der BFH eine umfassende Betrachtung der Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten für erforderlich. Auf der Grundlage von Daten der Deutschen Bundesbank untersuchte der BFH die Zinssätze für verschiedene kurz- und langfristige Einlagen und Kredite. Hierbei ergaben sich für 2013 Zinssätze, die sich in einer Bandbreite von 0,15 % bis 14,70 % bewegten. Obwohl der Leitzins der Europäischen Zentralbank bereits seit 2011 auf unter 1 % gefallen war, konnte somit nicht davon ausgegangen werden, dass der gesetzliche Zinssatz die Bandbreite realitätsnaher Referenzwerte verlassen hat.
Achtung: Noch weiter als jetzt der Bundesfinanzhof gehen die Finanzgerichte Köln und Münster: Das FG Köln meint, dass der Zinsssatz von 6 Prozent bis September 2014 verfassungsgemäß ist. Das FG Münster entschied, dass der Zinssatz von 6 Prozent sogar bis Dezember 2015 noch verfassungsgemäß ist (FG Köln vom 27.4.2017, 1 K 3648/14; FG Münster vom 17.8.2017, 10 K 2472/16, Revision III R 25/17). Auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs darf man gespannt sein.
Im o.g. BFH-Urteil vom 1.7.2014 haben die BFH-Richter darauf hingewiesen, dass ab 2012 die Rechtslage anders sein könnte. Das Marktzinsniveau habe sich wohl dauerhaft auf niedrigem Niveau stabilisiert. Die wirtschaftlichen Verhältnisse könnten sich im Vergleich zum Jahr 1990, als die Vollverzinsung eingeführt wurde, tatsächlich grundlegend verändert haben, sodass ein Zinssatz von 6 % neu auf Verfassungsmäßigkeit zu prüfen wäre. Falls schon heute besondere Härten auftreten, weist der BFH auf Billigkeitsmaßnahmen hin: Das Gesetz erlaube Finanzämtern, auf die Zinsen ganz oder teilweise zu verzichten.
Tipp: Falls das Finanzamt Ihnen auf Steuernachforderungen den hohen Zinssatz von 6 % p.a. berechnet, sollten Sie gegen den Steuerbescheid Einspruch einlegen, auf die Revisionsverfahren vor dem BFH hinweisen (I R 77/15, III R 10/16, III R 16/16, III R 25/17) und das Ruhenlassen beantragen. Wegen der Wucherzinsen ist ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig (1 BvR 2237/14). Im Übrigen sind Verfassungsbeschwerden wegen der unterschiedlichen Besteuerung von Erstattungs- und Nachforderungszinsen anhängig (2 BvR 1711/15 und 2 BvR 2671/14).
Dass der horrende Zinssatz von 6 % p.a. mittlerweile nicht mehr in Ordnung ist, empfindet auch der hessische Finanzminister Dr. Schäfer. Bereits im April 2016 schlug er in einem Brief an Bundesfinanzminister Schäuble vor, baldmöglichst gemeinsam für eine realistische Verzinsung von Steuerforderungen zu sorgen: „Die heutige realitätsferne Zinshöhe empfinden die Steuerzahler als willkürliche Gängelung des Staates bei Nachzahlungszinsen.“ Schäfer meint weiter: „Wer dem Finanzamt Geld schuldet, sollte dafür in Zukunft nicht mehr mit unverhältnismäßig hohen Zinsen belastet werden. Der Bürger bekommt kaum noch Zinsen, der Staat langt mit 6 % kräftig zu. Das passt in Zeiten der Niedrigzinsen nicht mehr zusammen. Wer sich darüber ärgert, tut dies zu Recht. Deshalb sollten wir handeln und die Zinsen für Nachzahlungen und Erstattungen an das gegenwärtige Kapitalmarktniveau anpassen“ (FinMin. Hessen, Pressemitteilung vom 25.4.2016).
Meinung: Das neue Urteil des Bundesfinanzhofs enttäuscht auf ganzer Linie! Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die BFH-Richter nicht „Recht sprechen“ wollen. Sie schrecken hier wieder einmal vor einer steuerzahler-freundlichen Entscheidung zurück, weil es um sehr viel Geld für den Staat geht. Allgemein bekannt ist, dass es schon im Jahr 2013 so gut wie keine Zinsen mehr gab. Die Richter verkriechen sich hinter einer Zinswuchergrenze von angeblich 14,7 Prozent – nach dem Motto: Solange der Staat nicht unverschämter ist als die unverschämtesten Geldverleiher, ist alles ok. Schon lange hat das Steuerrecht jeden Bezug zu den aktuellen Marktzinsen verloren.
Wer derzeit noch auf seinen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 wartet und mit einer Nachzahlung rechnet, sollte jetzt gegebenenfalls eine freiwillige (Voraus-)Zahlung auf die zu erwartende Steuerschuld leisten. So kann die Verzinsung der Nachzahlung vermieden werden. Wirksamer kann man kaum Geld sparen. Das Finanzamt muss die freiwillige Vorauszahlung akzeptieren.
Die Nachzahlungszinsen werden zwar trotz der Zahlung festgesetzt, allerdings muss das Finanzamt diese zwingend erlassen, wenn die Steuerschuld bereits im Voraus vollständig beglichen worden ist.