Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann das Finanzamt einen Verspätungszuschlag festsetzen (§ 152 AO). Der Verspätungszuschlag wird grundsätzlich im Rahmen Ihres Steuerbescheids festgesetzt und muss zusätzlich zur fälligen Steuer bezahlt werden. Er beträgt für jeden angefangenen Monat der Verspätung 0,25 Prozent des fälligen Steuerbetrages, aber mindestens 25 Euro pro angefangenem Monat der Verspätung.
In bestimmten Fällen ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags im Rahmen einer „Kann-Regelung“ weiterhin Ermessenssache (§ 152 Abs. 1 AO). Im Allgemeinen aber wird ein Verspätungszuschlag als „Muss-Regelung“ automatisch festgesetzt, insbesondere bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung (§ 152 Abs. 2 AO). Eine Rückausnahme von dieser „Muss-Regelung“ gibt es, wenn das Finanzamt die Frist für die Abgabe der Steuererklärung verlängert hat, wenn die Steuer auf null Euro oder auf einen negativen Betrag festgesetzt wird (§ 152 Abs. 3 AO).
Das Finanzamt kann von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags auch dann absehen, wenn Sie die Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr bezieht, innerhalb von 14 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres abgegeben haben. Außerdem müssen Sie glaubhaft machen, dass die Verspätung entschuldbar ist. Nach den 14 Monaten muss das Finanzamt aber einen Verspätungszuschlag verlangen.
Wegen der Corona-Pandemie wurden die Abgabefristen für die Steuererklärung 2018 nachträglich durch BMF-Erlass und für die Steuererklärungen 2019 bis 2024 durch Gesetzesänderung verlängert (siehe dazu Steuererklärungen: Diese Abgabefristen gelten!).
Aktuell hat das Finanzgericht Schleswig-Holstein zur Festsetzung eines Verspätungszuschlages entschieden, dass auch bei verspäteter Abgabe kein Verspätungszuschlag festgesetzt werden darf, wenn die Frist für 2019 durch ein entsprechendes Gesetz verlängert worden ist (FG Schleswig-Holstein vom 15.12.2023, 3 K 88/22, Revision VI/R 2/24).
Der Fall: Das Finanzamt hatte wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärungen 2018 (22 Monate) und 2019 (7 Monate) über einen Steuerberater Verspätungszuschläge nach § 152 Abs. 2 AO als „Muss-Regelung“ festgesetzt. Für das Jahr 2018 erfolgte die Abgabe der Steuererklärung am 8.3.2022, obwohl die Abgabefrist am 2.6.2020 abgelaufen war (Verspätungszuschlag 550 Euro).
Für das Jahr 2019 wurde die Steuererklärung am 8.3.2022 abgegeben, obwohl die Abgabefrist am 31.8.2021 abgelaufen war (Verspätungszuschlag 175 Euro). Fraglich war dann, ob die rückwirkenden Verlängerungen der Abgabefristen durch die Corona-Pandemie eine Rückausnahme von der „Muss-Regelung“ gemäß § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO in Gang gesetzt haben.
Für 2018 gab es eine gesetzliche Verlängerung der Abgabefrist nicht. Es haben aufgrund eines BMF-Schreibens lediglich keine Bedenken bestanden, Fristverlängerungsanträgen von Angehörigen der steuerberatenden Berufe – rückwirkend bis zum 31.5.2020 – zu entsprechen.
Für 2019 ist die Abgabefrist gesetzlich auf den 31.8.2021 verlängert worden. Die gesetzlichen Abgabenfristen nach § 149 Abs. 3 AO sind dabei für das Jahr 2019 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des letzten Tages des Monats Februar 2021 der 31.8.2021 tritt. Das Finanzamt meint, dass bei Abgabe nach dem 31.8.2021 ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden muss.
Nach Auffassung der Finanzrichter gab es für 2018 keine gesetzliche Verlängerung der Abgabefrist. Die Verspätungszuschläge für die Zeit nach dem 2.6.2020 sind also zurecht festgesetzt worden. Doch für 2019 sieht das Finanzgericht die Rückausnahme des § 152 Abs. 3 AO als erfüllt an. Dieser Fall sei so einzuordnen, dass die gesetzlich verlängerte Erklärungsfrist für das Veranlagungsjahr 2019 wie eine behördliche Fristverlängerung im Sinne des § 109 Abs. 1 und 2 AO zu behandeln sei. Denn hier sei die Erklärungsfrist zwar nicht individuell von der Behörde verlängert worden.
In den Fällen, in denen der Gesetzgeber für einzelne Veranlagungszeiträume per Gesetz eine Generalverlängerung der Abgabefristen für alle Steuerpflichtigen (mit Steuerberater) bestimmt, muss aber erst recht gelten, was „im Normalfall“ für individuelle Fristverlängerungen gilt – nämlich die Anwendung des § 152 Abs. 3 AO. Also eine Rückausnahme von der „Muss-Regelung“.