Im Gesetz ist bestimmt, dass „durch die Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen abgegolten sind, die durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte veranlasst sind“ (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG). Abgegolten sind alle „gewöhnlichen“ Kosten, wie Aufwendungen für Benzin, Reifen, Inspektionen, Kfz-Versicherungen, Kfz-Steuer, Abschreibung, Garagenmiete, Reparaturen, die auf normalem Verschleiß beruhen, Parkgebühren für das Abstellen des Kraftfahrzeugs während der Arbeitszeit, Finanzierungskosten, Beiträge für Kraftfahrerverbände, Versicherungsbeiträge
für einen Insassenunfallschutz, Leasing-Sonderzahlung, Austauschmotor. Gilt dies auch für „außergewöhnliche“ Unfallkosten nach einem Verkehrsunfall?
Eine immer wiederkehrende Streitfrage ist, ob die Kosten eines Unfalls mit der Entfernungspauschale abgegolten sind oder ob sie zusätzlich in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten abgesetzt werden können.
- Die Finanzverwaltung hat wiederholt die Finanzämter angewiesen: „Unfallkosten, die auf einer Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder auf einer zu berücksichtigenden Familienheimfahrt entstehen, sind als außergewöhnliche Aufwendungen im Rahmen der allgemeinen Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG weiterhin neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen“ (zuletzt BMF-Schreiben vom 31.10.2013, BStBl. 2013 I S. 1376, Nr. 4).
- Auch in der Gesetzesbegründung zur Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG ab 2007 heißt es, dass „Unfallkosten als außergewöhnliche Aufwendungen wieder neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen sind“ (BT Drucksache 16/12099 vom 3.3.2009, Seite 6 und 8).
- Ferner ist in den Lohnsteuerrichtlinien explizit geregelt, dass „neben der Entfernungspauschale nur Aufwendungen berücksichtigt werden für die Beseitigung von Unfallschäden bei einem Verkehrsunfall auf einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, auf einer Umwegfahrt zum Betanken des Fahrzeugs, auf einer Umwegstrecke zur Abholung der Mitfahrer einer Fahrgemeinschaft“ (Hinweis 9.10 LStH 2018).
- Zudem äußerte sich die Bundesregierung erst kürzlich wie folgt: „Mit der Entfernungspauschale sind sämtliche Aufwendungen des Arbeitnehmers für seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte abgegolten. Eine Differenzierung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Aufwendungen ist nach dem Wortlaut des
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG nicht vorgesehen. Aus Billigkeitsgründen wird es von der Verwaltung ausnahmsweise jedoch nicht beanstandet, wenn Aufwendungen für die Beseitigung eines Unfallschadens bei einem Verkehrsunfall neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten geltend gemacht werden“ (BT-Drucksache 18/8523 vom 20.5.2016, Seite 35).
Aktuell hat der Bundesfinanzhof zu Ungunsten der Steuerbürger entschieden, dass die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale sich im Grundsatz auch auf Unfallkosten erstreckt, soweit es sich um Aufwendungen des Arbeitnehmers für „die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte“, also um echte Wege- bzw. Fahrtkosten handelt (BFH-Urteil vom 19.12.2019, VI R 8/18).
Der BFH begründet dies mit dem Gesetzeswortlaut, der in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale auf „sämtliche Aufwendungen“ erstreckt. Zudem spreche die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale neben umwelt- und verkehrspolitischen Erwägungen auch für die Steuervereinfachung.
So sollten durch die Abgeltung „sämtlicher Aufwendungen“ insbesondere Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Steuerbürger und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten, z. B. für Abholfahrten und außergewöhnliche Kosten, vermieden werden.
Die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale erstreckt sich jedoch nur auf „Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte“ sowie für „Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung“ also auf die fahrzeug- und wegstreckenbezogenen Aufwendungen.
Andere Aufwendungen, insbesondere Aufwendungen in Zusammenhang mit der Beseitigung oder Linderung von Körperschäden, die durch einen Unfall auf einer beruflich veranlassten Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eingetreten sind, werden von der Abgeltungswirkung dagegen nicht erfasst. Solche Aufwendungen sind zusätzlich in vollem Umfang als Werbungskosten abziehbar.
Behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 70 oder einem GdB von 50 bis 70 und dem Merkzeichen „G“ oder „aG“ können ihre Fahrten zur Arbeit mit der Dienstreisepauschale von 30 Cent je Fahrtkilometer bzw. mit dem tatsächlichen km-Kostensatz geltend machen. Und deshalb können sie auch Unfallkosten zusätzlich als Werbungskosten absetzen (BMF-Schreiben vom 31.8.2009, BStBl. 2009 I S. 891, Tz. 3).