Die Absetzung für Abnutzung (AfA) von Gebäuden beträgt – je nach Nutzung und Bauantrag oder Kaufdatum – üblicherweise nur 2, 2,5 oder 3 Prozent, wenn keine Sonder-AfA, etwa nach § 7b EStG, infrage kommt. Das heißt, der Gesetzgeber unterstellt – typisierend – eine Nutzungsdauer für die Gebäudeabschreibung von 50, 40 oder 33 Jahren. Vielen Immobilienbesitzern ist dieser AfA-Satz zu gering und so wird hin und wieder versucht, einen kürzeren AfA-Zeitraum und damit eine höhere Abschreibung durchzusetzen. Grundsätzlich ist dies auch zulässig, wenn die Nutzungsdauer eines Gebäudes tatsächlich kürzer ist (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Der Bundesfinanzhof hat diesbezüglich entschieden, dass an den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer keine überbordenden Anforderungen zu stellen sind. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist jedenfalls nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer (BFH-Urteil vom 28.7.2021, IX R 25/19).
Der Finanzverwaltung behagt diese Rechtsprechung überhaupt nicht und so sollte der Gesetzgeber veranlasst werden, § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ersatzlos zu streichen, das heißt, dass immer nur die typisierenden Nutzungsdauern hätten angesetzt werden dürfen. Doch eine geplante Gesetzesänderung wurde zurückgezogen. Aber die Finanzverwaltung gibt sich nicht geschlagen. Das Bundesfinanzministerium hat in einem Schreiben aus dem Jahr 2023 dargelegt, welche Anforderung an ein Gutachten zur Verkürzung des AfA-Zeitraums zu stellen sind. Und wie zu erwarten war, hat das BMF die Messlatte hochgelegt (BMF-Schreiben vom 22.2.2023, BStBl 2023 I S. 332).
Das BMF-Schreiben wurde bereits kurz nach seinem Erscheinen stark kritisiert. So können die Restnutzungs- und die Gesamtnutzungsdauer eines Gebäudes nach Auffassung des BMF nicht nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) ermittelt werden. Dabei hatte das FG Münster mit zwei Urteilen vom 14.2.2023 (1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F) entschieden, dass vom Steuerpflichtigen eingeholte Wertgutachten, in denen die Restnutzungsdauern von Mietobjekten nach der ImmoWertV berechnet werden, sehr wohl der Ermittlung der AfA zugrunde gelegt werden können.
Aktuell hat der BFH entschieden, dass ein auf die Vorgaben der betreffenden ImmoWertV gestütztes Sachverständigengutachten durchaus geeignet ist, Aufschluss über die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes zu geben (BFH-Urteil vom 23.1.2024, IX R 14/23). Damit tritt also auch das oberste deutsche Steuergericht der einengenden Haltung der Finanzverwaltung zur Gebäudeabschreibung entgegen. Allerdings: Der schlichte Verweis auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe ImmoWertV allein genügt nicht, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer darzulegen. Dazu muss schon etwas „Mehr“ kommen.
Der Fall: Die Klägerin ging davon aus, dass die tatsächliche Nutzungsdauer eines ihr gehörenden Gebäudes nur noch sechs Jahre beträgt. Das Finanzamt sah hingegen eine Nutzungsdauer von 50 Jahren und ließ die AfA nur mit 2 Prozent zum Abzug zu. Es kam zu einem Streit vor dem Finanzgericht. Dieses holte das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken ein.
Der Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten nach Maßgabe von § 6 Abs. 6 ImmoWertV in der seinerzeit geltenden Fassung (2010) eine tatsächliche Restnutzungsdauer für die Gebäudeabschreibung von 19 Jahren. Nach Ansicht des BFH ist die Entscheidung des FG, die Gebäude-AfA nicht über 50 Jahre, sondern gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG über nur 19 Jahre zu verteilen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Begründung: Eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, kann als Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügen. Die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz 23 f. des BMF-Schreibens vom 22.2.2023 für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten aufstellt, lassen sich dem Gesetz jedenfalls nicht in Gänze entnehmen.
Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 ImmoWertV vom 14.7.2021) ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode.
Der BFH weist aber klarstellend darauf hin, dass seine Ausführungen zu der Gebäudeabschreibung nicht dahingehend zu verstehen sind, der Steuerpflichtige könne allein durch eine schlichte Bezugnahme auf die modellhaft ermittelte Gesamt- sowie Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der ImmoWertV eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer darlegen und nachweisen.
Vielmehr bedarf es für die Schätzung der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, die sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts (zum Beispiel durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021) verhält.
Im aktuellen Streitfall zur Gebäudeabschreibung wie auch in dem eingangs erwähnten Verfahren des Jahres 2021 wurde ein Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt. Es ist anzunehmen, dass die jeweiligen Gutachter die Immobilien persönlich in Augenschein genommen haben. Oftmals bewegen sich die Kosten für solche Gutachten zwischen 3.000 Euro und 5.000 Euro. Im Internet gibt es zunehmend Angebote, wonach Gutachten zur Restnutzungsdauer von Wirtschaftsgütern, auch für Immobilien, online und offenbar wesentlich kostengünstiger als über „klassischem“ Wege erstellt werden.
Ein Leser hat uns berichtet, dass sein Finanzamt ein solches Gutachten anerkannt hat. Wir können allerdings nicht beurteilen, ob Online-Gutachten – gerade wenn sie von nicht öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellt werden – allgemein anerkannt werden. Wir würden uns daher freuen, wenn Sie uns Ihre Erfahrungen als Kommentar schildern würden.