Leih- oder Zeitarbeitnehmer stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher, sondern zum Verleiher. Sie sind typischerweise stets bei Kunden ihres Arbeitgebers tätig. Oftmals streiten sich Leiharbeitnehmer mit dem Finanzamt darum, ob sie ihre Fahrten zur jeweiligen Arbeitsstelle nach Dienstreisegrundsätzen oder lediglich mit der Entfernungspauschale (Pendlerpauschale) geltend machen können.
Ein Abzug lediglich mit der Pendlerpauschale kommt zum Tragen, wenn der Arbeitsort als „erste Tätigkeitsstätte“ gilt. Und nun wird es kompliziert:
Der Betrieb des Entleihers ist die „erste Tätigkeitsstätte“, wenn Leiharbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber einer betrieblichen Einrichtung des Kunden „dauerhaft zugeordnet“ sind. Von einer dauerhaften Zuordnung zum Entleiher ist dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder von vornherein über einen Zeitraum von 48 Monaten an einer Tätigkeitsstätte tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG). In diesem Fall sind die Fahrtkostenkosten lediglich mit der Pendlerpauschale abzugsfähig.
Der Bundesfinanzhof hat zu Leiharbeitnehmern in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Verleiher entschieden, dass bei nur befristeten Einsätzen im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses keine dauerhafte Zuordnung zur Entleihfirma und damit dort keine „erste Tätigkeitsstätte“ besteht (BFH-Urteil vom 12.5.2022, VI R 32/20).
Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, ist eine auf die Zukunft gerichtete Prognose (Ex-ante-Betrachtung) maßgebend und nicht die rückwirkende Betrachtung. So ist beispielsweise im Falle einer unbefristeten Versetzung an einen anderen Ort und einer absehbaren Verweildauer von vier Jahren von einer regelmäßigen Arbeitsstätte bzw. ersten Tätigkeitsstätte auszugehen, bei wiederholter befristeter Zuweisung des Arbeitnehmers an einen anderen Betriebsteil des Arbeitgebers dagegen nicht (BFH-Urteil vom 8.8.2013, VI R 59/12).
Vereinfacht ausgedrückt: Ist von vornherein klar, dass der Leiharbeitnehmer recht lange bei einer einzigen Entleihfirma eingesetzt wird, darf er seine Fahrtkosten nur mit der Entfernungspauschale geltend machen.
Aktuell: Nach § 1 Abs. 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), der seit dem 1.4.2017 gilt, darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen. Und der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Das Ganze gilt, soweit nicht in Tarifverträgen eine andere Überlassungshöchstdauer festgelegt ist.
Aufgrund der Gesetzesänderung stellt sich folgende Frage: Kann ein Leiharbeitnehmer aufgrund des ab 1.4.2017 geltenden § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG (Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten) für Fahrten zum Entleiher eine Neubewertung der Ex-ante-Betrachtung durchführen, mit dem Begehren, dass betreffende Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen abzugsfähig sind? Das heißt: Kann es überhaupt noch „lange Einsatzzeiten“ bei einer einzigen Entleihfima geben? Wenn man der seit dem 1.4.2017 geltenden arbeitsrechtlichen Sichtweise auch steuerlich folgt, könnten wesentlich mehr Leiharbeitnehmer als bislang die Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen abziehen. Die Frage muss der BFH im Verfahren VI R 22/23 beantworten.
Vorausgegangen ist ein – negatives – Urteil des Finanzgerichts München vom 21.3.2023 (6 K 1233/20). Bemerkenswert: Das FG München hatte die Revision nicht zugelassen, doch der BFH hat der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde entsprochen. Das ist zwar natürlich keine vorweggenommene Entscheidung, zeigt aber immerhin, dass der BFH der Änderung durch das AÜG so viel Wert beimisst, dass er eine Überprüfung seiner eigenen – früheren – Rechtsprechung für erforderlich hält.
Der Fall: Der Kläger war seit dem 28.11.2015 unbefristet bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. In den folgenden Jahren war er bei verschiedenen Entleihern eingesetzt, beim letzten Entleiher R allerdings für mehr als drei Jahre (2.2.2015 – 31.8.2018). In den Steuererklärungen für die Streitjahre 2017 und 2018 machte der Kläger jeweils Fahrtkosten zur Arbeitsstelle nach Reisekostengrundsätzen geltend. Das Finanzamt berücksichtigte die Fahrtkosten dagegen nur mit der Entfernungspauschale. Hiergegen wandte sich der Kläger.
Seine Auffassung: Die gesetzliche Neufassung des AÜG sehe nun in § 1 Abs. 1b Satz 1 eine 18-monatige Überlassungshöchstdauer vor. Die arbeitsrechtlichen Besonderheiten legten den Schluss nahe, dass bei Leiharbeitsverhältnissen ein Leiharbeitnehmer bereits aus Rechtsgründen nicht dauerhaft einem Entleihbetrieb zugeordnet werden könne. Die zulässige Höchstverleihdauer von 18 Monaten mache deutlich, dass bei Arbeitnehmerüberlassungen im Rahmen von Leiharbeitsverhältnissen grundsätzlich keine dauerhafte Zuordnung denkbar sei.
Folge das Steuerrecht dem Arbeitsrecht könne auch steuerrechtlich keine dauerhafte Zuordnung gegeben sein, die zu einer ersten Tätigkeitsstätte eines Leiharbeitnehmers führe. Doch weder das Finanzamt noch das Finanzgericht sind dieser Ansicht gefolgt.
Begründung: Der Kläger war ab dem 28.11.2015 unbefristet bei der Zeitarbeitsfirma beschäftigt und dem Entleiher R aus der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Ex-ante-Betrachtung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses dauerhaft zugeordnet. Die Arbeitnehmerüberlassungen war nicht zeitlich befristet. Bei der für die Beurteilung einer dauerhaften Zuordnung entscheidenden Sicht ex ante, im November 2015 bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages, war die gesetzliche Neuregelung des AÜG nicht absehbar.
Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher war bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit nicht befristet. Damit konnte sich der Kläger bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags darauf einstellen, unbefristet beim Entleiher R in R tätig zu sein. Diese Prognoseentscheidung betreffend die Tätigkeitsstätte ändert sich zum 1.4.2017 nicht, da der Kläger unverändert beim Entleiher eingesetzt wurde.
Zugegebenermaßen ist die Materie nicht ganz leicht zu durchdringen. Es lohnt sich aber dennoch, sich mit dem Urteil und der Revision beim BFH zu befassen. Betroffene Leiharbeiter sollten in ähnlichen Fällen ihre Fahrtkosten jedenfalls nach Dienstreisegrundsätzen geltend machen, gegen ablehnende Steuerbescheide Einspruch einlegen und unter Berufung auf das BFH-Verfahren ein Ruhen ihres eigenen Verfahrens beantragen.