Das paritätische Wechselmodell, bei dem Kinder zeitweise bei beiden Elternteilen wohnen, wird in Deutschland immer häufiger praktiziert. Dennoch orientieren sich steuerliche Regelungen weiterhin primär am Residenzmodell, bei dem das Kind ausschließlich bei einem Elternteil gemeldet ist. Diese Diskrepanz führt bei Steuerfragen – insbesondere beim Kinderfreibetrag und dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende – zu erheblichen Herausforderungen.
Grundlagen: Kinderfreibetrag und Entlastungsbetrag für Alleinerziehende
Kinderfreibetrag
Der Kinderfreibetrag soll das Existenzminimum eines Kindes steuerfrei stellen. Für jeden Elternteil steht grundsätzlich die Hälfte des Freibetrags zu. Allerdings wird vorab eine sogenannte Günstigerprüfung durchgeführt: Dabei wird geprüft, ob der Freibetrag oder das Kindergeld steuerlich vorteilhafter ist. Das Problem: Wird das Kindergeld an einen Elternteil ausgezahlt, hat der andere keinen Anspruch auf den Freibetrag, selbst wenn das Kind auch bei ihm gemeldet ist.
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG)
Alleinerziehende erhalten einen Steuerfreibetrag, wenn das Kind zu ihrem Haushalt gehört und ihnen das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag zusteht. Beim Wechselmodell steht der Entlastungsbetrag jedoch grundsätzlich nur einem Elternteil zu, da eine Aufteilung nicht vorgesehen ist. Der Betrag wird automatisch dem Elternteil zugeordnet, der das Kindergeld erhält, es sei denn, die Eltern treffen eine abweichende Vereinbarung.
BFH-Urteile: Wechselmodell im Fokus der Steuerrechtsprechung
BFH-Urteil vom 10.07.2024 (III R 1/22)
Dieses Urteil betrifft den Abzug von Kinderbetreuungskosten im Wechselmodell. Der BFH entschied, dass diese Kosten nur der Elternteil absetzen kann, der sie nachweislich gezahlt hat. Im zugrunde liegenden Fall hatte die Mutter die Hortgebühren überwiesen, weshalb der Vater keine Abzugsmöglichkeit hatte.
BFH-Urteil vom 28.04.2010 (III R 79/08)
Dieses Urteil beschäftigte sich mit dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Der BFH entschied, dass der Betrag demjenigen Elternteil zusteht, der das Kindergeld bezieht, wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Eine gleichmäßige Aufteilung des Betrags zwischen den Eltern ist ausgeschlossen.
Fallbeispiel: Steuerliche Benachteiligung im Wechselmodell
Im Urteil vom 10.07.2024 wurde ein typischer Fall des Wechselmodells behandelt:
- Sachverhalt: Ein Vater lebte nach der Trennung von der Mutter in einem paritätischen Wechselmodell mit seinem Kind. Das Kind war bei beiden Elternteilen gemeldet und wohnte wochenweise bei Mutter und Vater. Der Vater beantragte den hälftigen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende sowie den hälftigen Kinderfreibetrag. Das Kindergeld wurde ausschließlich an die Mutter ausgezahlt.
- Entscheidung des BFH:
- Kinderbetreuungskosten: Der Vater durfte die Kosten nicht absetzen, da die Mutter die Zahlungen geleistet hatte.
- Kinderfreibetrag: Der Vater hatte keinen Anspruch, da er keine Verfügungsmacht über das Kindergeld hatte.
- Entlastungsbetrag für Alleinerziehende: Auch dieser wurde dem Vater verweigert, da der Betrag automatisch dem Kindergeldempfänger (der Mutter) zugeordnet wird.
Die Richter bestätigten, dass diese Regelung nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Es sei Sache der Eltern, familienrechtlich eine klare Zuordnung von Kindergeld und Freibeträgen zu regeln.
Rechtliche Grundlagen: Wichtige Paragrafen im Überblick
- § 24b EStG: Regelt den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und dessen Voraussetzungen.
- § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG: Ermöglicht Eltern eine Bestimmung, wer von ihnen den Entlastungsbetrag oder das Kindergeld erhalten soll. Ohne Einigung steht der Betrag automatisch dem Kindergeldempfänger zu.
- § 38b Satz 2 Nr. 2 EStG: Weist darauf hin, dass der Entlastungsbetrag in Steuerklasse II berücksichtigt wird, was eine nachträgliche Änderung für das Kalenderjahr ausschließt.
Empfehlungen für betroffene Eltern
Um steuerliche Nachteile im Wechselmodell zu vermeiden, sollten Eltern bereits bei der Trennung klare Vereinbarungen treffen:
- Kindergeldzuordnung frühzeitig klären: Wer das Kindergeld erhält, entscheidet über weitere steuerliche Vorteile wie den Entlastungsbetrag.
- Vereinbarungen zur Steueraufteilung treffen: Nach § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG können Eltern bestimmen, wer von ihnen die steuerlichen Vorteile erhalten soll.
- Genaue Dokumentation von Zahlungen: Beispielsweise bei Kinderbetreuungskosten ist wichtig, wer die Zahlung tatsächlich geleistet hat.
- Steuerliche Auswirkungen berücksichtigen: Änderungen der Zuordnung können in Steuerklasse II schwer rückgängig gemacht werden.
Fazit: Steuerrecht versus Lebensrealität
Das Steuerrecht hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung hin zum paritätischen Wechselmodell hinterher. Die aktuellen Urteile zeigen, dass der Gesetzgeber dringend Anpassungen vornehmen sollte, um steuerliche Nachteile für Eltern zu vermeiden, die sich die Betreuung ihrer Kinder gleichwertig teilen. Bis dahin bleibt Eltern nur, durch klare Absprachen und rechtzeitige Vereinbarungen steuerliche Nachteile zu minimieren.